
89 Millimeter – das ist der Unterschied zwischen der Spurweite der Eisenbahngleise in Westeuropa und Belarus. Kein großer Abstand. Aber hier, an der Grenze der neuen EU, beginnt eine andere Welt, angeblich „die letzte Diktatur Europas“.
Ein junger Filmemacher wagt die Reise, um herauszufinden, wie frei die Menschen seines Alters hier sind. Er begegnet einem politischen Flüchtling, Widerstandskämpfern, Fassaden- streichern, einer GoGo-Tänzerin, einer perspek- tivlosen Journalistin und einem staatstreuen Soldaten. Ein Film über eine postsowjetische Generation.
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Interview mit dem Regisseur Sebastian Heinzel
Sebastian, du warst für deinen Film gemeinsam mit deinem Kameramann insgesamt fünf mal in Belarus, jeweils für ein paar Wochen. Wie habt ihr gearbeitet? Wie kann man sich das vorstellen?
Wir haben über einen Zeitraum von zehn Monaten gedreht. Eugen hat die Kamera, ich habe den Ton gemacht und für die Interviews hatte ich noch meinen Übersetzer Ilya zur Seite. Gewohnt haben wir in kleinen Privatwohnungen, zum Teil in den riesigen Plattenbauvierteln am Rande der Stadt. Jeder Drehtag war ein eigenes Abenteuer. Etwas Unvorhergesehenes ist immer passiert. Ich musste mich am Anfang daran gewöhnen, dass für die Menschen in Minsk Zeit etwas sehr Relatives ist. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass viele Leute gar nicht wissen, wovon sie am morgigen Tag leben sollen. Die Drehs waren sehr anstrengend, weil wir oft nicht wussten, was uns erwartet, in welche Gefahr wir uns begeben und ob wir überhaupt drehen können. Eugens Kamera und mein Mikro waren allzeit bereit. Wir hatten am Ende über 130 Stunden Videomaterial, das wir dann im Schnitt auf 77 Minuten reduziert haben.
Warum hast du diesen Film eigentlich gedreht? Was reizt dich an Belarus und wie bist du überhaupt darauf gekommen?
Mein erste Reise nach Belarus mit dem creative village* für eine Sonderbeilage der taz war gleichzeitig auch meine erste Reise in den Osten. Ich war völlig fasziniert von der Energie der Menschen in Minsk. Wir wurden unheimlich freundlich empfangen, haben in den Wohnungen einiger Studenten gewohnt und sofort einen Einblick in deren Leben bekommen. Mich hat dann tief beeindruckt, wie die jungen Menschen es dort schaffen, trotz Mangel an Geld, Freiheit und Perspektiven ihre Träume zu verwirklichen oder dies zumindest zu versuchen. Ich habe eine Entschlossenheit erlebt, die ich bei vielen Menschen aus meiner Generation in Deutschland vermisse.
Was waren deine ersten Eindrücke von Belarus? Wie haben sich diese Eindrücke über die Reisen verändert?
Jeder, der einmal mit dem Zug in den Osten gefahren ist, kennt das Ritual des Radwechsels an der polnisch-weißrussischen Grenze in Brest. Der Zug wird hoch gehoben, die Passagiere bleiben in den Waggons, während die Fahrgestelle gewechselt werden. Von oben beobachtet man die Gleisarbeiten. Gegen eine Flasche Wodka oder Wein durften wir dort drehen. Hier beginnt nicht nur ein neues Gleissystem mit breiterer Spurweite, hier beginnt eine andere Welt. Deshalb fängt unser Film in dieser atmosphärischen Halle an. Mein erster Eindruck war dann die massive Präsenz von Miliz am Bahnhof. Ich hatte gleich das Gefühl, hier weht ein anderer Wind. Dieses Gefühl hat mich nie ganz losgelassen.
Wie habt ihr diese Präsenz der Miliz im Alltag erlebt?
Zwischendurch haben wir uns überlegt, ob wir den Film nicht über die unterschiedlichen Einheiten der Polizei und der Miliz drehen sollen… Es gibt so viele unterschiedliche Uniformen und Abteilungen. Die blauen Streifenpolizisten sind eher harmlos, während man den braunen Eliteeinheiten, den „Omons“, lieber aus dem Weg gehen sollte. Am Anfang war ich von der massiven Präsenz der Ordnungshüter eingeschüchtert, später habe ich mich daran gewöhnt.
Wie spürt man denn die Diktatur? Wie kann man sich als Westeuropäer Belarus, wie das Leben unter Lukaschenko vorstellen?
Diese Frage haben wir uns während der gesamte Drehdauer immer wieder gestellt, vor allem unter dem Gesichtspunkt: Wie kann man als Filmemacher die Diktatur im Alltag visualisieren. Denn auf den ersten Blick wirkt alles aufgeräumt und scheinbar harmlos. Letztlich haben uns unsere Protagonisten diese Frage beantwortet. Für jeden zeigt sich die Unterdrückung in anderer Form. Für den Fassadenstreicher Pavel ist es die Tatsache, dass er schneller arbeiten muss, wenn Lukaschenko mal wieder eine Fahrt durch die Stadt angekündigt hat. Für Ludmilla bedeutet es, dass sie in ihren Hausarbeiten nicht schreiben darf, was sie will, ohne Repressionen fürchten zu müssen. Alexander, der Widerstandskämpfer kannte es aus erster Hand: Er wurde kurzerhand exmatrikuliert.
Wie konntet ihr eigentlich drehen? Gab es nicht viele Beschränkungen? Hattet ihr Drehgenehmigungen?
Da wir unsere Protagonisten nicht unnötig gefährden wollten, haben wir auf offizielle Drehgenehmigungen verzichtet. Wir hätten sonst unsere Interviewpartner angeben müssen und womöglich noch einen „Wachhund“ zur Begleitung erhalten. Das wollten wir vermeiden. Wenn wir in Kontrollen geraten sind, haben wir uns meist als Architekturstudenten ausgegeben, die ihren Diplomfilm über stalinistischen Stil in Minsk drehen. Durch Glück, Verhandlungsgeschick und pure Dreistigkeit haben wir dann auch an Orten gedreht, die man in Deutschland nie ohne eine Genehmigung mit Kamera betreten könnte. Es war manchmal unglaublich, was durch den persönlichen, spontanen Kontakt zu Menschen alles möglich war.
Kanntest du die sechs Protagonisten deines Films denn vorher? Wie hast du sie gefunden?
Unser Ziel war es, herauszufinden, wie frei junge Menschen unseres Alters in Belarus sind. Dazu wollten wir möglichst unterschiedliche Menschen begleiten und befragen. Kennen gelernt haben wir die Leute auf unterschiedliche Weise. Pavel haben wir einfach auf der Straße bei der Arbeit angesprochen. Igor, der in seiner Uniform im Park saß, auch. Slava saß bei unseren ersten beiden Reisen „zufällig“ im gleichen Zug. Olga war eine Bekannte meines Übersetzers. Alexander und Ludmilla kannte ich von meiner ersten Recherche-Reise.
Was hat dich gerade an diesen sechs Menschen gereizt? Warum haben es gerade die in den Film geschafft?
Was alle Protagonisten im Film vereint, ist ihre Entschlossenheit, zu hundert Prozent „ihr Ding“ zu machen. Außerdem verbindet alle eine gewisse Liebe und Verbundenheit zu ihrem Land. So unterschiedlich der Soldat Igor und der Widerstandskämpfer Alexander auch sein mögen, sie verbindet, dass sie beide von sich behaupten, Patrioten zu sein. Alle sechs sind sehr eigene Persönlichkeiten. Und sie sind grundverschieden. Das fand ich spannend.
Es beeindruckt, dass jeder der Protagonisten sich auf seine bzw. ihre Art – glücklich und zufrieden oder nicht – mit dem System arrangiert zu haben scheint. Jeder scheint, sich seine „persönliche“ Freiheit genommen oder erobert zu haben.
Freiheit hat sich während des Drehs und später im Schnittraum zum zentralen Thema des Films heraus kristallisiert. Meine Lieblingssequenz ist auch die, in der jeder der sechs Protagonisten seine Definition von Freiheit erklärt. Ich habe gemerkt, dass das Gefühl von Freiheit sehr stark mit dem eigenen Lebensweg verknüpft ist und zutiefst subjektiv ist.
Wie schätzt du das ein: Ist es gefährlich – gerade für Slava, Alexander oder Ludmilla – in diesem Film mitgewirkt zu haben? Welche Verantwortung spürst du für deine Protagonisten?
Pavel bringt es da ziemlich auf den Punkt. In Belarus ist es gefährlich, offen seine Meinung zu sagen. Alexander ist schon 30 bis 40 Mal bei Demonstrationen verhaftet worden und von der Uni geflogen. Für ihn ist es sicherlich nicht mehr so gefährlich in diesem Film aufzutauchen. Man kennt ihn schon. Für die anderen kann ich es schwer beurteilen. Deshalb habe ich es den Protagonisten überlassen, wie politisch sie im Film werden wollen. In „89 Millimeter“ geht es nicht darum, Stimmung gegen Lukaschenko zu machen, sondern die Lebensrealitäten der Menschen in Belarus zu zeigen. Ich spüre natürlich eine Verantwortung und stehe nach wie vor in Kontakt mit den Protagonisten. Sie sind alle einverstanden mit dem Film. Deshalb werden wir ihn zeigen. Ob wir ihn auch in Belarus zeigen können, ist offen.
Man hat oft den Eindruck, dass die Protagonisten dir und der Kamera blind vertrauen. Wie ist es dir gelungen, dieses Vertrauen aufzubauen?
Als wir angefangen haben zu drehen, konnte ich kein Wort russisch. Ich habe mich während des Drehs nur auf mein Bauchgefühl verlassen können. Eine wunderbare Erfahrung. Ich habe gelernt, in den Gesichtern der Menschen zu lesen, um zu verstehen, wann sie etwas Wichtiges sagen. Zudem habe ich versucht, so offen wie möglich zu sein und viel von mir selbst zu erzählen. Gerade zu Anfang musste ich der Rolle als westlicher Journalist mit Kamerateam entgegen wirken, um zu zeigen: Ich bin ein Mensch in eurem Alter, ihr könnt mir vertrauen. Wir haben viel Zeit mit den Menschen privat verbracht. Mit jeder Reise wurde der Kontakt freundschaftlicher und intensiver. Das spürt man, glaube ich, auch in der Entwicklung des Films.
Ist denn Belarus nun eine Diktatur? Wir hast Du sie erlebt, wie hast Du sie wahrgenommen?
Jemand, der sich in Belarus politisch engagiert, wird schnell mitbekommen, dass es keine Meinungsfreiheit und keine Pressefreiheit gibt. Jemand, der sich aus allem heraus hält, wird wohl kaum Repressionen spüren. Mir ist zum ersten Mal bewusst geworden, dass es dort nicht mit rechten Dingen zugeht, als wir Alexander beim Aufkleber verteilen in der Stadt begleitet haben. Er hat 10 oder 20 Aufkleber, die eine Demonstration ankündigten, in einer Unterführung verklebt. Als wir 5 Minuten später wieder in die Unterführung zurückkamen, waren alle Aufkleber weg, und wir wurden von einer Polizeistreife angehalten. Das fand ich äußerst unheimlich.
Sicherlich hast du dir Gedanken dazu gemacht: Was macht eine Diktatur aus? Was bestimmt sie? Was macht sie effektiv und erfolgreich?
Ein entscheidendes Merkmal der Diktatur ist ja, dass sie im Unsichtbaren wirkt. Demonstranten werden im Schutz der Nacht verhaftet und verprügelt, wenn alle Kameras aus sind. Drohungen, Gespräche mit dem Geheimdienst, fadenscheinige Verbote. Ein Unrechtstaat unterdrückt nie offen und macht sich dadurch unangreifbar. Das Schlimmste an einer Diktatur ist der Druck und die Ungewissheit, unter denen die Menschen leiden. Nicht zu wissen, wie frei man wirklich ist. Eine Diktatur ist „erfolgreich“, wenn sie es schafft, ein Gebilde aus Angst in den Menschen entstehen zu lassen, das sie handlungsunfähig macht.
Der Film ist eine Independent-Produktion, die ohne Fördergelder oder Produktionsmittel eines TV-Senders auskommt. Wie hast du es eigentlich geschafft, einen Produzenten dafür zu finden?
Nach meiner ersten Reise hatten wir eine multimediale Ausstellung mit Fotos und Filmen zum Thema Belarus in Berlin. Dazu hatte ich meinen späteren Produzenten Stefan Kloos eingeladen. Wie ich zuvor, und wie so viele Leute in Deutschland, wusste auch er wenig über Belarus. Es wurde schnell klar, dass wir den Film ohne Unterstützung eines Senders drehen müssen und ihn erst später vermarkten können. Ich hatte also Glück, einen mutigen Produzenten zu haben, der am mich und das Thema geglaubt hat und uns mit Technik und einem kleinen Budget nach Belarus geschickt hat. Ich kann mich erinnern, als wir nach der ersten Drehphase noch nicht mit den Ergebnissen zufrieden waren, war es Stefan, der mir geraten hat: Fahrt noch einmal hin, lasst die Dinge geschehen – und trinkt mehr Wodka! Das haben wir dann gemacht, und es hat funktioniert. Wir haben insgesamt mehr als zwei Jahre an „89 Millimeter“ gearbeitet. Alle waren mit sehr viel Herzblut dabei, und auch in der Postproduktion konnten wir tolle Leute gewinnen, die an dem Film gearbeitet haben, weil sie sich einfach dafür begeistert haben: Die Art Direction hat Lars Jordan übernommen, der z.B. auch die Verpackung für die MTV-Serie „Friss oder Stirb“ gemacht hat. Und für die Texte am Anfang und am Ende konnten wir als Sprecher den Schauspieler Roman Knižka gewinnen.
Regisseur
Sebastian Heinzel
Geboren 1979 in Kassel. Nach Abitur 1998 und Zivildienst in Philadelphia (USA) beginnt er während seines Studiums der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft selbst Filme zu drehen, statt nur darüber zu sprechen.
Es folgen journalistische Kurzaufenthalte bei VIVA und taz (die tages- zeitung) und der Entschluss, als Dokumentarfilmer zu arbeiten. Seine Themen sind Osteuropa, Subkultur, Metropolen und ihre Menschen. Seit 2004 studiert Sebastian Heinzel Regie an der Filmakademie Baden-Württemberg.
Team
Ein Film von | Sebastian Heinzel |
Kamera | Eugen Schlegel |
Schnitt | Lena Rem |
Art Direction | Lars Jordan |
Sprecher | Roman Knižka |
Übersetzung | Ilya Kusnetzow Jelena Golowko |
Produktionsassistenz | Julia Mahnkopf |
Produzent | Stefan Kloos |
Eine Produktion von | Kloos & Co. Medien GmbH |
Protagonisten
Pavel, 23, saß wegen mehr als 200 Wohnungseinbrüchen über drei Jahre im Gefängnis. Er berichtet über die menschenverachtenden Zustände in der Haft. Heute ist er ein geläuterter Mensch. Sein Talent nutzt er nun, um Fassadenkletterer zu werden. Ein Berufsbild, das es in Deutschland nicht gibt: Statt Häuserfassaden von Gerüsten aus zu streichen, machen sich die waghalsigen Maler in Minsk an Schornsteinen fest und seilen sich von den Dächern ab. Frei schwebend erfüllen sie eine wichtige Funktion für den Staat, der stets darauf bedacht ist, die Hauptstadt auf Hochglanz zu polieren. Pavel ist gezeichnet durch seine Zeit im Gefängnis, doch er findet sich mit der miserablen Situation ab. Sein Wunsch ist ein ganz „normales“ Leben, verändern möchte er nichts.
Alexander, 21, ist führendes Mitglied bei ZUBR (russisch für „Bison“, das Nationalsymbol des Landes), der jüngsten und größten Widerstandsbewegung im Land, die unter der Patenschaft von amnesty international steht. Der Wunsch nach Veränderung ist sein Lebensinhalt. Alexander wurde schon über 30 Mal auf Demonstrationen verhaftet, wegen seiner politischen Aktivitäten wurde er exmatrikuliert. Das Recht auf freie Meinungsäußerung und Unabhängigkeit für Belarus sind seine Ziele. „Ich bin ein Patriot“, erklärt Alexander in gebrochenem Englisch, „denn ich stehe auf gegen Lukaschenko.“ Der Film begleitet den stolzen Rebellen beim Verteilen von Flugblättern an der Uni und bei den Vor- und Nachbereitungen einer Demonstration. Dabei sitzt ihm die Miliz immer im Nacken.
Ludmilla, 21, ist Journalismusstudentin – nur hat sie kein Forum für Veröffentlichungen mehr, seit die Belarussische Jugendzeitung geschlossen wurde. Lusy, wie sie sich nennt, ist sehr westlich orientiert, auch sie sucht den Widerstand. Nur anders: An der Uni bekommt sie keinen Schein, wenn sie ihre Meinung frei äußert. So treffen wir sie auf ihrem Lieblingsplatz im Hinterhof der Universität, wo sie gerne mal den Unterricht schwänzt. Sie trinkt Bier aus der Dose und erklärt, dass wahre Freiheit immer von innen kommt. „The most important thing is to do what you want and to find the ways to do it!“
Slava, 25, ist der Sohn eines politischen Flüchtlings. Sein Vater, ehemaliger Gefängnisdirektor in Minsk, war verantwortlich für die offizielle Exekutionspistole, die immer dann „ausgeliehen“ wurde, wenn Oppositionelle spurlos verschwanden. Weil er die Verantwortung dafür nicht mehr tragen konnte, flüchtete Slavas Vater mit seiner Familie nach Berlin und gilt hier als politischer Flüchtling. Slava pendelt nun regelmäßig mit dem Zug zwischen Berlin und Minsk, um seine Freundin Lena und ihre gemeinsame Tochter Arina zu sehen. Slava arbeitete früher bei der Miliz und im Gefängnis, jetzt bezieht er Sozialhilfe in Berlin. Der Film begleitet Slava während seiner Zugfahrten und in Minsk mit seiner Familie. Seine Geschichte zieht sich wie ein roter Faden durch den Film.
Igor, 24, steht mit beiden Stiefeln auf dem Boden. Er leistet während der Dreharbeiten gerade seinen Wehrdienst ab und hat an Belarus nichts auszusetzen. Außerdem sei er „zu jung“, um sich „mit Politik zu beschäftigen“. Igor erfreut sich lieber der Schönheit der belarussischen Natur, ist leidenschaftlicher Jäger und fährt zu seiner Babuschka aufs Land, um ein Schwein zu schlachten. Genau wie Alexander ist er überzeugter Patriot, aber von den Zubr-Aktivisten will er nichts wissen. Ihn stören die Graffiti der Opposition an den schönen Fassaden von Minsk. Igor liebt Belarus über alles und würde nie wegziehen. Im Gegenteil: Noch während der Dreharbeiten heiratet er seine Freundin. Igors Zukunft liegt in Belarus, und seiner Meinung nach sieht sie dort nicht schlechter aus als irgendwo sonst.
Olga, 23, ist resigniert: „Wenn im nächsten Jahr nichts Radikales passiert, zum Beispiel, dass ich mich verliebe, dann werde ich das Land verl- assen.“ Die attraktive Tanzlehrerin sieht sich als Künstlerin und steht damit in Belarus auf verlo- renem Posten. Ihr Geld verdient sie sich nachts als Go-Go-Girl im „Westworld“, dem exklusivsten Club der Stadt. Das „Westworld“ steht für einen Traum von Wohlstand und Dekadenz. Für Olga sichert das „Westworld“ den Lebensunterhalt, sie tanzt hier für 10 Dollar die Nacht – ihr Traum aber ist die große Bühne. Der Film beobachtet Olga und ihre Mitbewohnerin Alessja bei den Proben für ein Internationales Choreographie- festival. Olga sucht ihre persönliche Freiheit im Tanz. Wie alle Protagonisten sucht auch Olga im engen Korsett des weißrussischen Systems ihren Platz, ihre Bestimmung, ihren Freiraum – auch wenn für den Betrachter womöglich jegliche Perspektive zu fehlen scheint.